Fashion

Kleider machen dünne Leute

2 Jan ’13

Vor einiger Zeit habe ich mir die Frage gestellt, wie es möglich sein kann, dass ich mit 67 Kilogramm auf 1,80m teilweise Kleidergröße XL oder 40, sogar 42 kaufen muss. Nunja, ich habe aus meinem Gewicht nie ein Geheimnis gemacht. Mein BMI – sofern man an diesen glaubt, denn auch daran gibt es wissenschaftliche Zweifel – beträgt 20,9. Wer den Body Mass Index nicht kennt, kann ihn ganz einfach berechnen lassen. 20,9 ist also auf der Skala des BMI im absoluten Normalbereich. Wer unter 18,5 ist, hat definitiv Untergewicht, alles über 30 ist adipös. Man kann zwar über diese Werte und auch den Index an sich selbst streiten, er ist aber ein guter “Daumen mal Pi”-Faktor, wenn man schauen will, ob man sich noch in einem normalen Bereich befindet oder nicht. Ich habe also die Erkenntnis gemacht, dass ich nicht fett bin und ich fühle mich auch nicht so. Zwar könnte ich an dieser oder jener Stelle ein paar Gramm weniger haben, aber im Allgemeinen fühle ich mich ganz gut so. Ich esse auch halbwegs ausgewogen und glaube mich gesünder zu ernähren als der Durchschnitt. Dieses Gefühl ist ein gutes, allerdings wird es hin und wieder doch von einem anderen Gefühl verdrängt, nämlich dem “Was ist los mit der Kleiderindustrie?”-Gefühl, das mich jedes Mal beim Einkaufen überkommt und mich fast zum Kotzen bringt.

XS und weniger

Wer nicht gerade maßgeschneiderte Sachen anziehen kann, was auch an ökonomischen Faktoren liegt, wird früher oder später damit konfrontiert, dass Kleidergrößen, wie wir sie heute kennen, einfach komplett daneben sind. Das merkt man spätestens daran, wenn in einem Kleidergeschäft Ausverkauf ist und Rest-Teile fast hergeschenkt werden, die sich meistens im unteren Bereich der Größen befinden. XS, 32 oder 34 gehen in den Kleidergeschäften kaum weg. Ausnahmen gibt es sicher, denn Geschäfte wie Pimkie sind beispielsweise auf Jugendliche ausgelegt, die ja mit ihren 14, 15 oder 16 Jahren Kleidergröße 34 haben können. Ohne Frage, auch ich hatte mal diese unglaublich tolle Größe, die man überall findet und durch die man die tollsten Sachen anziehen kann. Doch die Realität ist eine andere. Ich kenne kaum eine Frau über 25, die diese Kleidergröße trägt. Weil es einfach vollkommen unrealistisch ist.

Ein Vergleich

Sieht man sich auf Wikipedia mal die Konfektionsgrößen-Tabelle an, wird man feststellen, dass Kleidergröße 32 bei den Damengrößen einen Taillenumfang von 58-61cm berücksichtigt. Meine 6-jährige Tochter trägt Kindergröße 128, was einer Körpergröße von 128cm entspricht und einen Taillenumfang von 57-59cm entspricht. Das heißt, dass Kleidergröße 32 in etwa dem Taillenumfang eines 7-jährigen oder 8-jährigen Mädchens entspricht. 

Soweit ich weiß, ist es schon sehr lange her, dass diese Konfektionsgrößen genormt wurden. Da verschiedene Lebensbedingungen in der gleichen Bevölkerungsgruppe auch zu einer Änderung der Körpergröße geführt haben, ist meines Erachtens eine Justierung der Konfektionsgrößen dringend notwendig. Die “Normalgrößen” 32 bis 44 beachten nämlich eigentlich nur Frauen, die zwischen 164cm und 170cm groß sind. Irgendwie auch verständlich, schließlich sind die meisten deutschen Frauen zwischen 165cm und 169cm groß. Dennoch sind die Menschen in den letzten 30 Jahren dicker geworden. Das ist ein ganz eigenes Problem und ich heiße es nicht gut, dass wir immer fetter werden, aber wir wachsen und nehmen zu und die Kleiderindustrie sollte sich endlich damit befassen. Ich habe keine Lust mit 40 nichts mehr anziehen zu können, weil ich dann mit 72 Kilogramm in die Übergrößen-Abteilung gehen muss. Die im europäischen Standard EN 13402 festgehaltenen Kleidergrößen stammen in manchen Ländern angeblich aus 2007, wie man zu diesen Werten gekommen ist, weiß ich allerdings nicht. Die Messung einer größeren Stichprobe an Frauen hätte vermutlich zuviel Geld und Zeit gekostet, als dass man sich damit ernsthaft auseinandersetzen wollte. Die Daten, die man dafür herangezogen hat, stammen angeblich aus den 90er Jahren aus europäischen Studien. Anhand dieser Daten wird also ein Kleidungsstück hergestellt, das in seinen Maßen in einem bestimmten Feld liegt, das durch Durchschnittswerte repräsentiert wird. Kein Wunder also, dass Kleidergröße 38 nur einem Bruchteil von Leuten passt, die eigentlich irgendwo in diesem Feld liegen sollten, denn die Interpretation der Kleidergrößen entscheidet nach wie vor die Textilindustrie.

Ein Positiv-Beispiel

Als Positiv-Beispiel möchte ich anmerken, dass der Jeans-Hersteller Levi’s sich dieser Sache angenommen hat und vor einigen Jahren Frauenkörper in großer Anzahl vermessen hat, um neue Jeans-Modelle herauszubringen. Die “Curve ID” Jeans sind auf unterschiedliche “Problemzonen” ausgelegt und die Größen sind wirklich für normale Körper geschaffen anstatt für Mannequins. Ich selbst besitze zwei dieser Jeans und bin mehr als zufrieden, sie sitzen wie angegossen.

Frust

So frustrierend das Einkaufen manchmal auch ist, immer wieder findet man doch irgendwas, auch wenn die Reise dorthin eine längere ist. Schade finde ich es trotzdem, weil es mir persönlich die Laune am Einkaufen massiv verdorben hat, wenn ich in zehn Geschäfte gehen muss, um eine Hose zu finden, die mir passt. Und das, obwohl ich nicht einmal wirklich übergewichtig bin oder eine bestimmte “Problemzone” habe. Meines Erachtens sollte die Europäische Union eine Vermessung mit einer repräsentativen Anzahl an Menschen in Europa durchführen und einen neuen verpflichtenden Standard einführen. Aber vermutlich hat die EU ganz andere Probleme im Moment.

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4 Comments

  • Reply Susanne Mandl 2 Jan ’13 at 15:05

    Ich wollte nach der Schwangerschaft meines 3. Kindes einen Anzug kaufen. Zara, Stephansplatz: “in ihrer Größe haben wir nichts, wir haben nur Sachen bis Größe 42” Ich bin 1,70 m groß und hatte damals gleichmäßig verteilte 65 kg.
    Meiner mittleren Tochter kann ich nur Bubenhosen kaufen (bzw selbst Hosen nähen) denn obwohl sie Normalgewicht hat passen ihr die bei Mädchen mittlerweile Standard gewordenen Röhrenschnitte nicht.
    Für mich rennt da einiges gewaltig schief..

  • Reply Heike 2 Jan ’13 at 17:32

    Ich stimme voll zu! Bin selbst 1,83 m und habe gewichtsmäßig alles zwischen 63 und knapp 90 kg durch. Und ja, 90 Kilogramm klingt wahnsinnig viel und ist schon im Bereich leichtes Übergewicht, aber noch lange nicht fett, find ich. Der Frust beim einkaufen ist allerdings sehr groß. Was in der Breite passt, ist meist an Ärmel oder Hosenbeinen viel zu kurz, was in der Länge passt, sitzt meist schlechter als ein Kartoffelsack. Deshalb gehe ich kaum noch in normale Läden. Ein Tipp für große Frauen: pett-handelsmoden.de, wo es auch mal Oberteile in langen Größen gibt!

  • Reply Elise 6 Jan ’13 at 15:13

    Solange sich Frauen eher in die Minigrössen hineinhungern, statt endlich mal weniger zu konsumieren, weil einfach nichts passt und eine Vielzahl von Frauenmagazinen uns weiter weismachen, dass wir nach Weihnachten sofort eine Diät starten müssen etc. wird sich nichts ändern.
    Ich wünsche mir selbstbewusste Frauen, die zu einer normalen Figur stehen.
    Ich hab mir. vorgestern meinen ersten Pulli in L gekauft. Nein, nicht oversized. Ich bin 1,64m und habe 55 kg. das war vor 10 Jahren Gr. 36 bzw S
    Wir leben schon in einer traurigen Gesellschaft, in der die Kleidergröße erstrebenswerter ist als alles andere…( dumm darf man sein, aber etwas dicker sein ist verpönt…)

  • Reply disqus_VNxJNP7IWf 11 Jan ’13 at 18:50

    Aus eigener Erfahrung muss ich dem leider ein wenig widersprechen. Ich bin 1,68 groß, knapp über 25 und hab zwischen 50 und 53 kg und kaufe beim H&M Hosen aus der Kinderabteilung. (Weil sie dort 20 Euro kosten und ich dies als angemessenen Preis für eine H&M Jeans, die man nicht mal ein Jahr trägt, empfinde).Und nicht die in 170, sonder 164 und die sind mir teilweise zu groß. Und ich hab nicht das Becken einer 14jährigen, sondern dies einer 25jährigen!! Und da frage ich mich schon, wie dick die Kinder dieser Welt sind, wenn dies eine scheinbar standardisierte Größe ist (im übrigen passen mir auch Hosen anderer Marken). Irritierender Weise schaffe ich es manchmal nicht die Hose in Größe 36 von H&M zuzubekommen. Ich frage mich also was, wo wirklich schiefläuft – Kinder werden dicker und Frauen wollen wieder Kinder sein?

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