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Tag 13 – Ein Buch, bei dem du nur lachen kannst

13 Jul ’10


Tag 13: Macht & Rebel von Matias Faldbakken

„Ich stehe an der Kassenschlange im Supermarkt hinter einem Typen, der seine Koteletten dermaßen hoch ausrasiert hat, dass er ganz mongoloid aussieht. Fett ist er außerdem. Ich hasse ihn zutiefst.“ – Rebel, Mittwochs

„Macht & Rebel – Skandinavische Misanthropie II“ (2005, Blumenbar) ist eines jener Werke der seit einigen Jahren um sich greifenden Welle von (Porno-)Trash-Romanen, die nicht versuchen, eine kritische Botschaft in rotzigen Worten oder gar semi-intellektuellen Bobos leichte literarische Kost als „subversive Befreiungsliteratur“ zu verkaufen. „Macht & Rebel“ ist, um einen Österreich-Bezug herzustellen, als würde jemand in die Redaktion von FM4 gehen und wahllos das Personal zusammenschlagen.

„Bis zum heutigen Tage habe ich mich irgendwie der Linken zugehörig gefühlt. Warum? Weil sie rebellionsfreundlich ist? Was war nur mit mir los? Der einzige Grund, aus dem ich JEMALS rebellieren würde, wäre, dass eine Gang linksdrehender autonomer Teufel mir auf die Eier gehen würde. Es ist UNTER aller Kanone, anzunehmen, dass ich mich jemals vom UNTERgrund ÜBERreden ließe. Ich bin ÜBERhaupt sicher, dass die UNTERgrund-UNTERmenschen absolut ungeeignet sind, die Macht zu ÜBERnehmen. Wer wollte sich schon von deren UNTERentwickelten ÜBERzeugungen vorschreiben lassen, wie er zu leben hat? Ich nicht. Das ist ÜBER jeden Zweifel erhaben.“ – Rebel, im Auto mit Arolf

Rebel (englisch ausgesprochen) gehört zu jener Gruppe von Endzwanzigern, die aufgegeben haben, nach einem Sinn oder gar einer Bestimmung zu suchen. Er hat sogar aufgehört, sich zu betäuben oder abzulenken, zu arbeiten, nicht einmal sexuelle Handlungen können ihn anfangs noch aus der (selbstgewählten) nihilistischen Lethargie holen, in der er offensichtlich seit Jahren feststeckt, keine wirklichen Ambitionen, daran etwas zu ändern. Nicht einmal das Meckern macht mehr eine Freude.

„Ich bleibe sitzen wie von der Brust abwärts gelähmt und kann mich eineinhalb Stunden lang nicht von dem unerträglichen Anblick Gwyneth Paltrows lösen. Gwyneth Paltrow gelingt es FAST, dass ich vor Wut anfange zu heulen, aber es gelingt ihr NICHT, mich vom Sofa hochzuscheuchen. Warum bloß? Ich finde es wahnsinnig unoriginell, hier vor Langeweile paralysiert herumzusitzen, doch warum soll ich andererseits VERFLUCHT NOCH MAL nicht das Recht auf Langeweile haben? Ich hasse mich selbst für meine Ohnmacht.“ Rebel, schlaflos

Vor die Tür geht er nur, wenn es sein muss. Oder wenn er kleine Jobs für Frank „Fatty“ Leiderstam erledigen soll, dem lokalen, massiv übergewichtigen „Anführer“ des „linken Untergrunds“. Dabei tauchen Figuren auf, die klingende Namen wie „Satan-Harry“, „Hacker-Cato“ oder „Pat Riot“ tragen, allesamt Karrikaturen auf die moderne Aktivistenbewegung, wie sie bösartiger nicht ausfallen könnte.

Die zweite namensgebende Figur des Buches ist Macht. Macht ist so ziemlich das genaue Gegenteil zu Rebel.

„Macht ist ein sogenannter Kreativer (von ihm stammt zum Beispiel das Motto ‘Freier haben immer Recht’.), aber anders als die meisten Kreativen hat er sich klugerweise für die Wirtschaftswelt entschieden und nicht für ein Dasein im Problematisierungs-Slum (lies: Kultur und Geistesleben). Er erträgt es nicht, mit den übrigen kulturellen Playern dieser Welt umgehen zu müssen. Ironie des Schicksals: Machts Geschäftssinn und zupackender Charakter haben ihn direkt in den Underground geführt, um dort Beispiele für ‘Authentizität’ etc. zu entdecken, die sich wirtschaftlich ausbeuten ließen, und dennoch ist es ihm bislang erspart geblieben, einer von ihnen zu SEIN. ‘Ihnen’ meint hier Kulturärsche, Aktivistenärsche, die neoradikalen Bastarde, kritischen Theorie-Pennern, die Slumkönige der progressiven Musik, die Bewohner des Sinnstiftungs-Ghettos, des großen Zigneuerlagers von Textproduzenten und Gegenkultur-Ratten.“

Macht (der stets gekleidet ist, als würde er im Besitz des Fundus von Taxi Driver sein) ist die Zukunft. Er symbolisiert eine Gruppe intelligenter junger Leute, die den Underground zum Mainstream machen und diesen melken, bis sich niemand mehr dafür interessiert. Jedesmal, wenn ein Tabu gebrochen wurde, wird die Grenze nach hinten versetzt, damit man immer weiter gehen kann. Idealismus ist nicht mehr leistbar, im Gegenteil, er ist hinderlich, vorausgesetzt, man kann ihn nicht zu Geld machen.

Macht & Rebel hatten bisher natürlich nichts miteinander zu tun. Das ändert sich schlagartig, als Macht auf der Toilette einer gemeinsamen Bekannten (der philanthropischen Sonderschullehrerin Fotti) eine von Rebel umgeschriebene Hitler-Rede findet, welche dieser dort verloren hat. Macht soll einem Kunden, der im Verdacht des Antisemitismus steht, mit einer Marketingkampagne aus der Patsche helfen und Rebel soll der ideengebende Motor dahinter werden. Natürlich gilt auch hier: Eine Hand wäscht die Andere und so soll Macht Rebel bei dieser Gelegenheit gleich helfen, mit seinem Lieblingshassobjekt Fatty aufzuräumen.

„Im Wissen, dass Macht einzig und allein wegen der Hitler-Reden gekommen ist, registriert Rebel Machts zustimmendes Nicken, und im Wissen, dass Rebel momentan der Einzige ist, der seine Haut und die Haut von T.S.I.V.A.G. retten kann, hat Macht gesehen, dass Rebel ihn SIEHT: Macht hat Rebel in die Augen gesehen, bis er SAH, dass sie einander GESEHEN hatten.“ In der Teenie-Disco EASTSÜD

So beginnt eine wunderbare Freundschaft, welche sich über alle ideologischen, sexuellen, moralischen und ethischen Grenzen hinweg zu einem furiosen Finale steigert; welches dieses Buch zu einem meiner ewigen Lieblinge macht. Definitiv ist Faldbakkens zweites Buch der „Skandinavische Misanthropie“-Trilogie (Teil Eins: The Cocka-Hola Company und Teil Drei: Unfun) nicht für alle gleichermaßen unterhaltsam. Streckenweise schrammt Faldbakken am Rechtsradikalismus vorbei, ebenso werden einige sicherlich angewidert die Entwicklung der Figuren „Thong“ und „Thong Jr.“ mitverfolgen – wenn sie nicht vorher das Buch weglegen.

„Machts zweites Heureka kommt, als er bemerkt, wie viel Aufmerksamkeit Rebel erntet, indem er im TESCO mit Thong herumknutscht. Ihm geht auf, wie uncool es ist, eine Tussi zu haben, die vor den Neunzigern geboren ist. Sobald Rebel kühn genug ist, mit der einen Hand Thongs Pferdeschwanz zu greifen, ihr mit der anderen den Hintern zu kneten und ihr die Zunge in den Hals zu stecken, drehen sich Lefties aller Spielarten nach ihm um, mit einer Mischung aus Entsetzen und Begeisterung. Thong Jr. starrt Macht unverfroren in die Augen, während sich Rebel an ihrer großen Schwester ‘vergreift’. Irgendwann starrt Macht zurück und spürt, dass seine Körperfunktionen auf eine neue, interessante Weise geweckt werden. Sexuelle Erregung, gemischt mit schlechtem Gewissen: eine unschlagbare Kombination.“ Macht, Rebel, Thong & Thong Jr. im Underground-Pub TESCO

Es ist leider auch so, dass, sofern man die, ich nenne sie jetzt „linke Szene“, mehr oder weniger aktiv mitverfolgt (hat), erschreckende Parallelen zur wirklichen Welt findet. Vielleicht fesselt mich dieses Werk deshalb immerzu, weil es sagt, was „nicht ausgesprochen werden darf“: Dass der alternative Underground zu einer blassen Crackhure verkommen ist und alles für jeden macht, wenn er sich nur traut zu nehmen, was er will, kombiniert mit der zunehmenden gesellschaftlichen Anerkennung der reinkarnierten Lolita-Phantasien in einer Zeit, wo man hierzu nicht einmal mehr zwingend das Haus verlassen muss.

Ich denke, damit ist auch hinreichend besprochen, warum ich über dieses Buch immer und immer wieder lachen kann.

„Ich WEIGERE mich, mir ‘eine Meinung zu bilden’ oder ‘selbstständig zu denken’ oder ‘hinter einer Sache zu stehen’. Ich habe diese Meinungsfreiheitskultur so scheiß über. Ich bitte und bettle darum, gefesselt und geknebelt zu werden, aber denkst du, in der zivilisierten Welt gibt es irgendwo einen Menschen, der sich die Mühe machen würde, mich zu unterdrücken?“


O. Pryde ist Herausgeber des Netzmagazins „Der Blogger“, Industrialkünstler, Magazinproducer der Verlagsgruppe NEWS, Gestalter des „Rundfunk Werwolf Wien“ und oberster weltlicher wie geistlicher Führer der „Final Church of the Apocalypse / Junicksology“.

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3 Comments

  • Reply Tweets that mention Tag 13 – Ein Buch, bei dem du nur lachen kannst | ivy machts net -- Topsy.com 13 Jul ’10 at 15:59

    […] This post was mentioned on Twitter by .’. ユーニクス .’.. .’. ユーニクス .’. said: RT @iwona_w: Tag 13 in der Reihe “31 Tage – 31 Bücher” von @junicks http://bit.ly/bQO0pe #3131 […]

  • Reply Ivy 13 Jul ’10 at 20:35

    Das Buch steht übrigens schon seit einiger Zeit auf meiner Wunschliste. Leider bin ich immer noch nicht dazugekommen es zu lesen, aber Matias Faldbakken ist ein Muss für alle, die zeitgenössische Literatur interessiert. Auch wenn sie ein bisschen “anders” ist.

  • Reply bobschi 21 Jul ’10 at 19:24

    Mal schauen, ob ich das hier irgendwo finde … schaut nach lohnender Lektüre aus.

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